Informatikerin Rettet Leben Von Müttern In Pakistan Durch Einsatz Von Ki

Maryam Mustafa betritt eine kleine, überfüllte Klinik in Pakistan. Zunächst verschafft sie sich einen gründlichen Überblick über den Raum, der gleichzeitig alsLobby und Untersuchungsraum dient. Dutzende von Frauen warten schweigend, während die Ärzte von Patientin zu Patientin gehen. Jede von ihnen hat nur wenige Augenblicke Zeit, um zu erklären, warum sie hier ist, bevor der Arzt weitergeht. Mustafa beobachtet jede Interaktion genau.

„[Die Ärzte] haben drei Minuten pro Patientin“, erklärt sie. „In dieser kurzen Zeit können sie gerade einmal fragen: ‚Warum sind Sie heute hier?‘“

Für viele pakistanische Schwangere ist es der erste und einzige Arztbesuch vor der Geburt. Dadurch sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, weil lebensbedrohliche Erkrankungen wie Präeklampsie, Anämie und Schwangerschaftsdiabetes möglicherweise nicht erkannt werden. Eine frühzeitige Erkennung kann Leben retten, doch der Zugang zu erschwinglicher Gesundheitsversorgung ist beschränkt, die Zeit des medizinischen Fachpersonals viel zu knapp und Privatsphäre ist in den unterfinanzierten Kliniken nicht vorhanden. Die Kombination dieser Faktoren kann zu einer tödlichen Versorgungslücke für die Mütter und ihre ungeborenen Kinder führen.

„Viele Frauen kommen nur zu einem einzigen Arztbesuch und werden dann erst wieder gesehen, wenn sie in der Notaufnahme landen. Häufig ist es dann schon zu spät. Das passiert hier sehr oft“, sagt Mustafa.

Maryam Mustafa ist an diesem Tag aus einem wichtigen Grund in der Klinik – ein Grund, der dazu beitragen könnte, die Schwangerschaftsvorsorge in ressourcenarmen Gebieten grundlegend zu verbessern. Als Informatikerin hat sie sich dem Ziel verschrieben, Fortschritte in den Bereichen Gesundheit und Entwicklung zu beschleunigen. So hat sie eine leicht zugängliche, kostengünstige Technologie entwickelt, die medizinischem Personal dabei helfen soll, Schwangerschaftsrisiken frühzeitig zu erkennen und das Leben von Müttern und Babys zu retten. In Pakistan sterben auf 100.000 Lebendgeburten mehr als 150 Frauen – jede von ihnen eine Mutter, deren Leben bei rechtzeitiger Versorgung hätte gerettet werden können.

Ein Weg, auf dem sich menschliche Bedürfnisse und Technologie begegnen

In Maryam Mustafas Familie hatte Bildung einen hohen Stellenwert. „In der Art und Weise, in der sie ihre Töchter erzogen, waren meine Eltern in Pakistan eine Ausnahme“, sagt sie. Sie bestanden darauf, dass alle sechs Kinder – ihre Töchter ebenso wie ihre Söhne – Zugang zu den besten Bildungsmöglichkeiten erhielten. Doch Mustafa fiel es nicht leicht, sich für einen Weg zu entscheiden.

An der Lahore University of Management Sciences (LUMS), einer der führenden Hochschulen in Pakistan, belegte sie – wenn auch widerwillig – Informatik im Hauptfach. Sie war eine hervorragende Studentin, hatte aber das Gefühl, dass etwas fehlte. „In meinem Leben gab es schon immer diesen inneren Zwiespalt“, erinnert sie sich. „Ich habe mich schon immer für Anthropologie und Soziologie interessiert. Ich wollte das Leben von Menschen verstehen.“

Obwohl sie eine Ausbildung zur Informatikerin an renommierten Universitäten in Pakistan, Deutschland und den USA absolviert hat, fühlte sie sich zur menschlichen Seite der Technologie hingezogen. Ihre Leidenschaft für Anthropologie und Design veranlasste sie dazu, sich auf die Interaktion zwischen Mensch und Computer zu spezialisieren – ein Gebiet, das Menschen, Psychologie und Innovation miteinander verbindet.

Eine KI-gestützte Lösung für die Schwangerschaftsvorsorge

Mustafas Arbeit zur Verbesserung der Schwangerschaftsvorsorge begann mit jahrelanger Feldforschung: Sie besuchte Kliniken und Krankenhäuser und sprach mit unzähligen Frauen, um zu verstehen, warum so viele von ihnen an vermeidbaren Erkrankungen wie Bluthochdruck starben, der zu Eklampsie führt – eine der Hauptursachen der Müttersterblichkeit in Pakistan.

Die Ursachen wurden ihr rasch klar: Kritische Symptome wurden übersehen, weil die Sprechstunden viel zu kurz, die Ärzte überlastet und das medizinische Fachpersonal nicht ausreichend geschult waren. So kamen Diagnosen zu spät – oder gar nicht.

Um dieses Problem zu lösen, entwickelten Mustafa und ihr Team Awaaz-e-Sehat (auf Urdu: Stimme der Gesundheit) – eine sprachgestützte App, die speziell für medizinisches Personal mit Kontakt zu Patientinnen entwickelt wurde. Die App kann auf einem einfachen Smartphone ausgeführt werden und führt das Personal mit strukturierten Fragen in den jeweiligen Landessprachen durch ein Gespräch mit der Patientin. Die Fragen sind so ausgelegt, dass Warnzeichen für Krankheiten wie Präeklampsie oder Schwangerschaftsdiabetes erkannt werden. Durch die Erfassung der Antworten der Patientinnen in Echtzeit und Hinweise auf potenzielle Risiken unterstützt das Tool eine aufmerksamere, sachkundigere Schwangerschaftsvorsorge – selbst in den ressourcenärmsten Gegenden.

Im weiteren Verlauf des Projekts entwickelten Mustafa und ihr Team auch ein einfacheres sprachgestütztes Tool für die Patientinnen selbst,das vollständig über WhatsApp bereitgestellt wird. Es ermöglicht den Frauen, wichtige Fragen zu ihrer Gesundheit in ihrer eigenen Sprache zu beantworten, bevor sie einen Arzt aufsuchen. Anhand ihrer Antworten wird eine Akte mit grundlegenden Informationen erstellt. Dies soll dazu beitragen, dass kritische Symptome nicht mehr übersehen werden.

Unterstützt durch ein Grand Challenges-Forschungsstipendium von der Gates Foundation hat Mustafas Team eine Partnerschaft mit einem der größten auf Schwangeren- und Mütterversorgung spezialisierten Krankenhäuser geschlossen, um die App in großem Maßstab anzuwenden und die Führung von Aufzeichnungen zu verbessern.

Früherkennung gefährlicher Erkrankungen: vielversprechende Ergebnisse

Awaaz-e-Sehat befindet sich noch in der Pilotphase der Entwicklung. Dennoch verzeichnen Mustafa und ihr Team bereits Erfolge mit ihrer Technologie. Die App erkennt Symptome, die auf verschiedene gefährliche Schwangerschaftserkrankungen hindeuten, weitaus genauer als Ärzte in traditionellen medizinischen Einrichtungen. So geht aus ersten Daten hervor, dass die Ärzte dort Symptome für Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck nur in 7 % aller Fälle erkennen. Parallel dazu zeigte die App die gleichen Symptome in 40 % der Fälle an.

In der nächsten Phase der Studie will Mustafa den Einsatz der App auf mehrere Krankenhäuser und Kliniken im Bundesstaat Punjab und auf ein größeres Spektrum an medizinischen Fachkräften – Hebammen, Ärzte und Krankenpflegepersonal – ausweiten. Derzeit Professorin an der LUMS sowie Direktorin des Labors für interaktive Medien und des Saida Waheed Gender and Technology Clusters, will Mustafa Awaaz-e-Sehat in Kliniken im gesamten Punjab einsetzen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: Die App erkennt gefährliche Erkrankungen wie Schwangerschaftsdiabetes weitaus zuverlässiger als Ärzte, die sie nicht einsetzen.

„Warum sterben Frauen an Bluthochdruck? Das ist die dritthäufigste Ursache für Todesfälle bei Schwangeren in diesem Land“, sagt Mustafa. Diese alarmierende Statistik treibt sie an, sich auf die Ausweitung ihrer Stichprobe zu konzentrieren und mehr Daten zu sammeln, um durch Früherkennung mehr Leben zu retten.

Für Mustafa geht es dabei um mehr als nur die Entwicklung eines Tools: Sie will mithilfe neuer Technologien dafür sorgen, dass mehr Mütter Geburten überleben, mehr Babys gesund geboren werden und weniger Menschen an vermeidbaren Krankheiten sterben.